Gottes Missionsverständnis

(Auszug aus „Die Gemeinde“ 03/2025. Mit freundlicher Genehmigung. Wir danken dem Oncken-Verlag/Blessings4you für die Erlaubnis zu Veröffentlichung und Download.)

Autor Thomas Oberdorf ist Gemeindereferent der EFG Bietigheim-Bissingen und Teilnehmer des Upgrade-Programms des BEFG. Er gehört zum Team von GGE.YoungLeaders.

 
Gottes Missionsverständnis – der Heilige Geist und unser Auftrag

Israel wurde nach einem grausamen Krieg von den Babyloniern besiegt und ein großer Teil des jüdischen Volkes nach Babylon deportiert. Dort wurden sie, über das ganze Land verteilt, angesiedelt.

Vermutlich waren die Juden und Jüdinnen nicht besonders gut auf die Babylonier zu sprechen und lebten eher in Abneigung ihnen gegenüber. Aber Gott forderte sie durch den Propheten Jeremia zu einer ganz anderen Einstellung heraus: Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN (Jer 29,7 – LUT). Gott ermutigt sie, sich ihrer neuen Heimat voller Wohlwollen hinzuwenden. Nicht voller Abneigung und Hass unter ihnen zu leben und sich abzusondern, sondern sich ihnen in Liebe zuzuwenden und der Stadt Bestes zu suchen. Das ist das Missionsverständnis Gottes: Die bewusste Hinwendung an den Ort, an dem man lebt.

Suchet der Stadt Bestes = Mission

Mission bedeutet vom Wort her so viel wie Auftrag oder Sendung. Damit ist nicht zwingend das Umziehen an einen neuen Ort gemeint, sondern häufig viel mehr eine bewusste Hinwendung an den eigenen Ort. Nicht zurückziehen, sondern bewusst an den Ort hinwenden und sein Wohl suchen, das war Gottes Auftrag an sein Volk. Ich betrachte das Anliegen, der Stadt Bestes zu suchen, daher schlicht als die alttestamentliche Formulierung des Missionsbefehls.

Mission fängt bei Gott an (So sehr hat Gott die Welt geliebt …) und umfasst mehr als die Bekehrung einzelner Personen. Sie zielt vielmehr auf die Erlösung der gesamten Schöpfung ab (vgl. Röm 8,19-25; Kol 1,15-22). Es ist die Veränderung von Herzen durch die Neugeburt, die zur Veränderung der Lebensverhältnisse führt. Auf diese Art lädt Gott auch heute ein, uns unseren Wohnorten hinzuwenden. Speziell den Städten fällt dabei eine zentrale Rolle in unserer globalen Welt zu. Sie prägen ihre Bewohner und Bewohnerinnen, aber auch ihr Umland sowie die nationale und globale Gesellschaft. In ihren Systemen zeigt sich häufig, wie Sünde nicht nur die prägende Kraft im Herzen von Menschen ist, sondern auch strukturelle Auswirkungen hat, indem sie Menschen benachteiligt, ausschließt oder diskriminiert. Wir sollten uns die Frage stellen, wie Stadtteile oder auch ganze Städte durch das Erlösungswerk Jesu verändert werden können.

Das Reich Gottes als Zentrum der Mission Gottes

Jesus ist das Paradebeispiel dafür, wie unsere Sendung aussieht. Sein Wirken war mehr als eine theoretische Lehrmeinung, der man intellektuell zustimmt – sonst hätte er einfach ein Buch schreiben können. Das Zentrum seines Wirkens war das angebrochene Reich Gottes.

Nachdem aber Johannes gefangen genommen worden war, kam Jesus nach Galiläa und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe. Tut Buße und glaubt an das Evangelium! (Mk 1,14- 15 – SLT). Gottes neue Welt dringt in unsere Wirklichkeit ein und fängt an, alles zu verändern. Wo Jesus auftrat, da ereignete sich das Reich Gottes. Sichtbare Anzeichen davon waren unter anderem, dass Menschen geheilt, befreit und zur Tischgemeinschaft mit Jesus eingeladen wurden. Bei Jesus gehörten Wort und Tat untrennbar zusammen und gemeinsam demonstrierten sie, wie Gottes neue Welt aussieht. 

Der Heilige Geist befähigt zur Mission Gottes

Heilungen, Befreiungen, Wunder – die Evangelien bestehen zum großen Teil aus Berichten übernatürlicher Kraftwirkungen. Würde man diese Berichte streichen, wäre nicht mehr viel von Jesus übrig. Einer seiner engsten Freunde, Petrus, beschreibt Jesus folgendermaßen: ,, ... wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit Heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm“ (Apg 10,38 -LUT).

Es wird deutlich, dass die Kraft, die Jesus besaß, nicht aus ihm selbst kam, sondern aus Gottes Geist. Jesu Mission ist nicht denkbar ohne die befähigende Kraft des Heiligen Geistes. So ist es nur folgerichtig, dass es neben dem bekannten Missionsbefehl in Matthäus 28,18-20 (,,So geht nun hin und macht zu Jüngern alle Völker““) auch eine Art Missionsverbot gibt. In Lukas 24,49 sagt Jesus zu den Gläubigen: Ihr aber bleibt in der Stadt Jerusalem, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe! (SLT).

Der Heilige Geist führt in die Begegnung mit dem trinitarischen Gott: Durch ihn erfahre ich die die Liebe Gottes (Röm 5,5), meine Gottes-Kindschaft (Röm 8,14-16), einen Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit (Röm 8,23) oder seine Kraft (Apg 1,8). Der Geist lässt den Charakter Jesu in mir wachsen ( Gal 5,22-23), führt mich in die Frei- heit (2. Kor 3,17) und hilft mir in meiner Schwachheit (Röm 8,26-27). Dadurch werde ich ein einladendes Beispiel, wie es aussieht, wenn sich das Reich Gottes ereignet.

Wie können wir den Heiligen Geist und seine Charismen in die Mission einbeziehen?

Im Rahmen meiner Masterthesis habe ich ein Forschungsprojekt unter der Fragestellung durchgeführt, wie die Geistesgaben in der urbanen Mission eingesetzt werden können. Einige meiner Ergebnisse möchte ich an dieser Stelle stichpunktartig teilen:

Der Heilige Geist entfacht Leidenschaft für Gottes Mission

In Gottes Mission ist die Liebe die Grundlage für alles Handeln. Daher benötigen Gläubige ebenso diese Liebe, um Teilhabende an Gottes Mission zu werden. Römer 5 ,5 zeigt, dass diese Liebe durch den Heiligen Geist geschenkt wird. Sind wir erfüllt von der göttlichen Liebe, dann ist Mission nicht mehr das, was wir mit schlechtem Gewissen verdrängt haben. Es wird eine Freude und ein Vorrecht, sich der Mission Gottes zuschließen.

Das sollte zu einem Umdenken führen: Fokussieren wir uns als Gemeinde auf die Umsetzung einzelner missionarischer Projekte oder darauf, dass wir permanent aus der Fülle des Geistes leben? Würden wir Zweiteres mehr in den Fokus rücken, würde sich vieles fast wie von selbst organisch ergeben.

Gottes Geist möchte die Stadt ganzheitlich durchdringen

Die Stadt muss mit all ihren Bedürfnissen, Herausforderungen und Potenzialen wahrgenommen und dann mit dem Evangelium konfrontiert werden. Dabei nimmt die Evangelisation eine zentrale Rolle ein, denn die Transformation einer Stadt kann nur durch transformierte Herzen geschehen. So muss das Wirken des Geistes zunächst auf persönlicher Ebene gedacht werden, darf dort aber nicht stehen bleiben. Auch auf sozialer und politischer Ebene sollte man fragen, wie Gottes neue Welt Veränderung bewirken kann. Ein Beispiel: Die Gabe der Heilung (wörtl.: die Gaben der Heilungen) wird auf individueller Ebene als körperliche und seelische Heilung einer Person verstanden. Auf struktureller Ebene stellt die Gabe die Frage, wie eine kranke Stadt Heilung erleben kann. So könnte zum Beispiel der Mauerfall in Berlin als Beginn der Heilung einer geteilten Stadt durch den Heiligen Geist interpretiert werden.

Wenn Gläubige mit offenen Augen durch die Stadt gehen, wird der Geist ihnen durch die Stadt zeigen, wie er durch sie wirken möchte. Gott ist bereits in unseren Städten unterwegs. Seine Spuren können daher gefunden werden, wenn wir uns mit offenem Herzen auf unsere Stadt einlassen. Nöte, Herausforderungen, aber auch die Schönheit einer Stadt können, wenn sie uns im Herzen bewegen, Indizien dafür sein, dass Gott hier etwas mit uns vorhat. Dafür ist es hilfreich, wenn wir das Wirken des Geistes nicht auf gottesdienstliche Versammlungen reduzieren, sondern ihm Raum in unserem Alltag geben.

Um Gottes Absichten in einer Stadt zu entdecken, können vor allem die Geistesgaben hilfreich sein. Gaben mit offenbarendem Charakter wie Prophetie oder Erkenntnis können helfen, Gottes Spuren wahrzunehmen. Leitungsgaben wie die Unterscheidung können gewonnene Eindrücke sortieren, prüfen und strategisch planen. Klassische Handlungsgaben wie Diakonie, Krankenheilung, Kraftwirkungen oder Fürsorge können dann in der kreten Umsetzung zur Anwendung kommen.

Charismatisches Christsein bietet eine Antwort auf die spirituelle Sehnsucht der Städte

Die Stadt ist ein Ort spiritueller Sehnsüchte. Allerdings erwartet ein Großteil nicht, dass ihre spirituellen Sehnsüchte in Kirchen und Gemeinden gestillt werden können. Hier haben wir als Gemeinden die Pflicht, uns neu zu erfinden, indem wir die charismatische Dimension unseres Glaubens neu entfalten. Christsein ist nicht nur etwas für den Verstand, sondern durch den Heiligen Geist auch zu einer Erfahrungsreligion worden, die als solche praktiziert und erlebt werden muss. Paulus sieht zum Beispiel in Gottesdiensten, in denen Prophetie zugelassen wird, eine missionarische Chance (1. Kor 14,23-25). Hier gilt es mutig zu sein und neue Wege auszuprobieren. Aber nicht nur im Gottesdienst, sondern auch in unserem Alltag, sei es im Beruf oder im Treppenhaus, dürfen wir beten, dass Gottes Geist sich Menschen offenbaren möchte.

Für eine gesunde charismatische Kultur benötigt es reife, charismatische Leiterschaft

Untersuchungen zeigen, dass dort, wo charismatische Aufbrüche in Gemeinden entstehen, diese schnell wieder verebben oder in pubertären Phasen stecken bleiben, wenn nicht die Leiterschaft einer Gemeinde als Ganzes dahintersteht. Eine solche Leiterschaft benötigt sowohl eine gute Theologie wie auch Praxis. Dadurch schafft sie Raum für gelebtes, charismatisches Christsein und ordnet dieses in einer Reich-Gottes-Perspektive ein. Wesentliche Aspekte einer solchen Leidenschaft sind:

  • Sie befähigt Gläubige zu einem charismatisch-missionalen Leben.
  • Sie hat alle Geistesgaben im Blick und fördert sie, nicht nur die spektakulären, sondern auch Gaben wie Gastfreundschaft oder Barmherzigkeit.
  • Sie gibt Richtlinien im Umgang mit Geistesgaben vor, um ihre Wirkung zu fördern und Missbrauch zu hindern (vgl. 1. Kor 14,40).
  • Sie begrüßt Umbrüche und Veränderungen und gibt in solchen Prozessen Sicherheit.

Wenn wir dem Heiligen Geist Raum geben, wird er unsere Herzen mit der Liebe Gottes für unsere Städte und ihre Einwohner füllen und uns zudem auch befähigen, ihnen in seiner Kraft zu begegnen und der Stadt Bestes zu suchen. Davon bin ich überzeugt. 

Newsletter abonnieren